Hochauflösende Videos und austauschbare Objektive - Kamerahersteller preisen filmende Spiegelreflexkameras als völlig neue Geräte-Generation in der Digitalfotografie an. SPIEGEL ONLINE hat die ersten HD-Kombokameras getestet.
Die Idee klingt genial: Digitale Spiegelreflexkameras haben extrem leistungsfähige Bildsensoren und eine Riesenauswahl an Weitwinkel- und Zoom-Objektiven. Warum sollte man damit nicht auch bewegte Bilder aufzeichnen können? Wechselbare Objektive wären doch der Traum jedes Hobbyfilmers.
Glaubt man den Werbeversprechen von Nikon und Canon, erfüllen die zwei neuen Spiegelreflexkameras D90 (Nikon) und Canon 5D Mark II diesen Traum. Nikon verspricht die "erste D-SLR der Mittelklasse mit Movie-Funktion", Canon "Ganz.Großes.Kino" dank "21 Megapixel und Full-HD-Video".
Dass diese Kameras zum Fotografieren konstruiert wurden, kann man
bei diesen Werbeversprechen glatt vergessen - die Videofunktion steht
im Vordergrund, im Web kursiert sogar schon der neue Begriff "Combocam"
für die erste Generation filmender Spiegelreflexkameras.
HD-Video, Nachtaufnahmen und Autofokus-Ärger - SPIEGEL ONLINE
probiert aus, was, die D90 und D5 als Foto- und Videokameras taugen.
Bedienung
Was man bei der Bedienung von Nikon-Spiegelreflexkameras mag und was
manchen Fotografen daran nervt, steigert die D90: Toll sind die
Drehrädchen zum Einstellen von Werten wie Belichtungskorrektur,
Blendenöffnung und Belichtungszeit. Damit lässt sich das Gerät
intuitiv, schnell und genau einstellen.
Im Gegensatz etwa zu Nikons Einsteigerkamera D40 hat die D90 statt
einem dieser Rädchen zwei. Eine echte Erleichterung - man muss kein
drittes Knöpfchen drücken, um zu bestimmen, was man einstellen will.
Einsteigerfreundlich sind beim Modusrad der D90 auch die Punkte für
Automatik-Motivprogramme wie Makro, Nachtporträt und Landschaft. Eine
eigene Einstellung für den Videomodus fehlt hier aber kurioserweise,
Speicherplätze für Voreinstellungen auch.
Das nervt bei der Bedienung der D90: So komfortabel einige
Bedienelemente für den Direktzugriff plaziert sind, so aberwitzig gut
sind andere versteckt. Die Fokusmessfeldauswahl zum Beispiel: Auf der
Rückseite des Gehäuses gibt es einen eigenen Schalter mit einem großen
L daneben, mit dem man die Autofokus-Auswahl gegen unbeabsichtigtes
Verstellen schützen kann (L wie "Lock").
Um für den Fokus ein bestimmtes Messfeld auszuwählen, muss man
allerdings durch mehrere Menü-Optionen blättern (Menü-Knopf drücken,
dann Messfeldsteuerung wählen, dann das Feld auswählen) - das ist arg
kompliziert.
Bei der Bedienung der Canon-Kamera 5D Mark II funktioniert die
Kombination von Mini-Joystick, Daumendrehrad und einem
Zeigefinger-Drehknopf ganz gut. Völlig unverständlich ist bei der Canon
aber, warum auf dem Modus-Wahlrad ein Punkt für den Videomodus fehlt.
Hier wäre noch Platz für mindestens fünf weitere Bedienpunkte.
Ohne Blick in die Bedienungsanleitung kann man mit der Canon ebenso
wenig filmen wie mit der Nikon. Videoaufnahmen sind bei beiden Geräten
eine Unterfunktion des Live-View Modus. Einfacher gesagt: Man muss das
Display einschalten, um filmen zu können. Dann bei der Canon die
Set-Taste und bei der Nikon die Okay-Taste drücken - und die Fotokamera
nimmt Videos auf.
Diese Bedienung folgt der Maschinen- und nicht der Benutzerlogik.
Ausstattung
Beide Kameras haben mehr Einstellmöglichkeiten als die meisten
anspruchsvollen Hobby-Fotografen bei der Arbeit bewusst zur
Bildgestaltung wohl je nutzen werden - hier kann kaum jemand klagen.
Beide Kameras haben hervorragende 3-Zoll-Displays mit 307.000
RGB-Bildpunkten. Das ist in der Preisklasse der D90 (etwa 750 Euro)
ungewöhnlich, bei der wesentlich teureren Canon D5 Mark II (mehr als
2100 Euro) aber Standard.
Wesentliche Unterschiede der beiden Geräte:
Der Vollformat-Bildsensor der 5D (864
mm2) ist wesentlich größer als der der Nikon D90 (372,88 mm2), was eine
erheblich höhere Auflösung ohne Qualitätsverluste durch Störungen
möglich macht.
Die Canon 5D speichert Aufnahmen mit bis
zu 21,1 Megapixeln Auflösung ab - fast doppelt so viel wie die D90 mit
12,2 Megapixeln. Für normale Abzüge ist das unerheblich. Die große
Auflösung braucht, wer Abzüge im Posterformat drucken will oder extreme
Bildausschnitte wählt.
Der Canon 5D Mark II fehlt ein
eingebauter Mini-Blitz - kein Drama, aber als Notbehelf ist so ein
integrierter Blitz durchaus praktisch.
An die Canon 5D kann man ein externes
Mikrophon anschließen - bei Videoaufnahmen hilfreich. Die Nikon D90
zwingt ihren Nutzern das integrierte Mono-Mikro auf.
Die Betriebsprogramme beider Kameras bieten Fotografen nützliche
Funktionen wie eine Blendenreihenautomatik. Ein sehr ansprechendes
Alleinstellungsmerkmal der Canon 5D ist der "Kreativ-Automatik"
getaufte Modus.
Damit kann man mit der Schärfentiefe arbeiten, ohne groß über Details wie Blendenöffnung nachdenken zu müssen.
Man schiebt einfach einen Regler von rechts nach links, um den
Hintergrund verschwimmen zu lassen. Dass dafür die Blendenöffnung
vergrößert und auch die Verschlusszeit angepasst wird, muss man nicht
weiter beachten. Seltsam, dass die wesentlich teurere, auf Profis
ausgelegte Kamera dieses einsteigerfreundliche Detail bietet. So ein
Automatik-Programm würde sich wohl mancher Käufer der D90 wünschen, bei
der Profikamera 5D Mark II ist das nur ein nettes, kurioses Extra.
Fotoqualität
Der Vollformat-Bildsensor der Canon 5D Mark II liefert erstaunliche
Bildqualität. Selbst Nachtaufnahmen, die mit einer vergleichweise hohen
Lichtempfindlichkeit von ISO 3200 aufgenommen wurden, sehen auch in der
100-Prozent-Ansicht brauchbar aus. Leichtes Bildrauschen ist erkennbar,
bleibt aber in einem erträglichen Rahmen.
Andererseits wird die Störungsarmut nicht durch krasse
Detailverluste erkauft - der Eingriff des Rauschfilters ist nicht
übermäßig sichtbar (siehe Fotostrecke).
Unter kontrollierten Bedingungen von Fachmagazinen durchgeführte
Labortests der Bildqualität liegen für die 5D Mark II derzeit noch
nicht vor. Es scheint aber bei einigen Modellen zu Abbildungsfehlern zu
kommen, Nutzer berichten von kleinen schwarzen Punkten und
Streifenraschen - Canon hat bereits angekündigt, das Problem zu prüfen und an einer Lösung zu arbeiten.
Die Bildqualität der Nikon D90 ist auch bei schlechten
Lichtbedingungen ordentlich - bis zu ISO-Werten von 1600. Das
Technik-Fachmagazin "c't" lobt "gute Farbtreue und gute Bilddetails"
bei Außenaufnahmen, beurteilt das Bildrauschen bis ISO 400 als
"problemlos", bei ISO 800 als "leicht" und stellt erst "ab ISO 1600
erheblich reduzierte Bilddetails" fest. Auch die "Colorfoto" attestiert
der D90 nach Labortest einen "sehr geringen Texturverlust über den
getesteten ISO-Bereich von 100 bis 1600 ISO."
Videobedienung
Der erste Eindruck beim Filmen mit der D90: Das ist doch alles
unscharf. Und das ist es auch, wenn vor Beginn der Aufnahme nicht
scharf gestellt wurde. Während die Kamera Videos aufnimmt, ist der
Autofokus nicht verfügbar. So bleibt das manuelle Scharfstellen. Es ist
aber nahezu unmöglich, so scharfe Zoom-Aufnahmen hinzubekommen. An zwei
Rädchen gleichzeitig zu drehen und dabei nicht zu wackeln, könnte eine
Aufgabe für Geschicklichkeitswettbewerbe sein. Einen ordentlichen Film
dreht man so nicht.
Der Autofokus der Canon 5D verrichtet auch während der
Videoaufnahmen ordentlich seine Arbeit. Das ändert aber nichts daran,
dass gezoomte Aufnahmen aus der Hand sehr wackelig aussehen. Der
Zoom-Ring am Objektiv ist nicht leichtgängig genug, um ihn fließend zu
bedienen.
Die Lösung für die Wackel-Problematik könnte ein Stativ sein. Da stellt
sich aber die Frage: In welchen Situationen filmt man mit einem nicht
ganz billigen Fotoapparat Videos? Am ehesten sind wohl
Video-Schnappschüsse vorstellbar: Wenn sich schnell etwas entwickelt,
was interessanter in bewegten Bildern festzuhalten ist als in Fotos.
Zum Beispiel, wenn das Kind plötzlich seine ersten Schritte macht.
Für solche Video-Schnappschüsse reichen beide Kameras aus, wobei
die Nikon mit dem fehlenden Bewegtbild-Autofokus deutlich im Nachteil
ist. Als Ersatz für eine echte Videokamera kommen die beiden nicht in
Frage. Zum einen sind sie technisch dafür nicht geeignet: Nikon warnt
in seiner Bedienungsanleitung sogar vor schlechter Bildqualität bei
längerer Benutzung. In der Tat: Je wärmer der Bildsensor wird, desto
mehr Störungen treten auf.
Es zeigt sich, dass Spiegelreflexkameras und Camcorder aus guten
Gründen ein unterschiedliches Design haben. Eine Videokamera lässt sich
besser mit ruhiger Hand bedienen. Das gilt sowohl für das reine in der
Hand halten als auch für die Anordnung der Bedienelemente. Dass man auf
der Rückseite des Kamera-Gehäuses Knöpfe drücken muss, um die Aufnahme
zu starten, ist ein ungewohntes Gefühl. In der Nähe des Auslöser wäre
der Startknopf für die Videofunktion wohl besser aufgehoben.
Im Vergleich zu den Kontrollmöglichkeiten beim Fotografieren sind
die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Videoaufzeichnung arg begrenzt -
die Kamera arbeitet im vollautomatischen Modus, kontrolliert
Blendenöffnung, ISO-Wert und so weiter.
Videoqualität
Allen Schwierigkeiten in der Bedienung zum Trotz: Bei der HD-Qualität
müssen sich die Kameras nicht verstecken. Auch auf dem großen Monitor
wirken die Aufnahmen beeindruckend, allerdings mit kleinen Schwächen in
der Farbwiedergabe.
Wesentlicher Unterschied beim Videomodus: Die Canon 5D Mark II
nimmt bis zu 4 Gigabyte oder 30 Minuten Video in 1080p auf (also 1920 x
1080 Pixeln). Die Nikon D90 zeichnet maximal fünf Minuten Video am
Stück auf - mit nur 1280 x 720 Pixeln Auflösung.
Fazit
HD-Video ist ein hübsches Zusatzfeature der Spiegelreflexkameras.
Kaufen sollte man wegen dieses Extras aber keine der der beiden
Kameras. Die Handhabung beim Filmen ist nicht komfortabel genug, die
Einstellmöglichkeiten sind rudimentär - bei der günstigen
Mittelklassekamera Nikon D90 ebenso wie bei der Profi-Kamera Canon 5D
Mark II.
Im Fotobereich sind die Unterschiede erheblich - die Videofunktion wirkt bei beiden Geräten wenig durchdacht.
Das von der Werbung versprochene "Ganz große Kino" dreht man mit
diesen Geräten nur mit Stativen oder Steadycam-Zubehör - mit solchen
Hilfsmitteln hat der Fotograf Vincent Laforet seinen beachtlichen Clip
mit der Canon 5D Mark II gedreht (siehe Video unten).